Kritik

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Christian Hess
Ein Maler zwischen den Kriegen
Carl Kraus
 
Rai Bozen 2001
 


 

1. Block - Einführung
Die zwanziger Jahre waren nicht für alle so golden, wie sie in literarischen Rückblicken gerne dargestellt werden. Vor allem nicht für Künstler, die am Beginn ihres Schaffens standen. So wie etwa Christian Hess, geboren in Bozen, gestorben in Schwaz, in seiner Lebensgeschichte und künstlerischen Haltung aber eine Persönlichkeit europäischen Zuschnitts.
Mit seiner Kunst schuf Hess eine Art Gegenwelt zu der eigenen spannungsreichen Lebenssituation wie auch allgemein den zunehmend widriger werdenden Zeitverhältnissen. Die zentrale Inspirationsquelle fand der Maler dabei in Sizilien.

2. Block - Erster Aufenthalt in Sizilien
 Christian Hess reist erstmals 1925 nach Sizilien. Ein dreißigjähriger Maler, der aufgrund der Verzögerung durch den Krieg erst im Jahr zuvor sein Münchner Akademiestudium abschließen konnte. Die erste Station der Italienreise war Florenz, wo Hess im Palazzo Pitti für deutsche Sammler alte Meister kopierte - Auftragsarbeiten, um die Fahrtkosten zu decken. Mit großen Erwartungen brach er dann weiter auf, denn seine Schwester Emma hatte ihm begeisterte Briefe aus Messina geschrieben. Emma ist seit kurzem in der sizilianischen Hafenstadt verheiratet. Sie ist eine der wenigen aus seiner Familie, die noch lebt. Das Verhältnis zwischen den Geschwistern ist daher besonders eng. Und sie hat ihm nicht zuviel versprochen. Schon die ersten Eindrücke in Sizilien erschließen dem Maler eine völlig neue Welt: mit ihren Menschen und deren seit Jahrhunderten unverändert gebliebenen Arbeit, mit der von antiken Mythen durchpulsten Landschaft, mit dem unvergleichlichen mediterranen Licht. Dies sei das Paradies, schreibt Hess einem Künstlerfreund nach Deutschland. Enthusiastisch stürzt sich der Maler auf die verschiedenen Motive. Und wenngleich er nur langsam Äquivalente für sein künstlerisches Erleben findet, weiß er, dass ihn dieses Land nicht mehr loslassen wird.

3. und 4. Block 
Lebensstationen Bozen, Innsbruck, München - Mitglied der Juryfreien
Auf der Rückreise nach Deutschland macht Christian Hess Halt in Bozen und Innsbruck, seinen ersten Lebensstationen. Bozen war seine Geburtsstadt, das Eckgebäude nördliche Lauben/Obstmarkt sein Elternhaus. Der Vater, der aus Württemberg stammte, arbeitete hier als Beamter. Nach seinem frühen Tod übersiedelte Christian Hess 1905 mit der Mutter und zwei Schwestern nach Innsbruck, wo Verwandte lebten. Vom Gymnasium wechselte er hier in die seinen Interessen und Begabungen mehr entsprechende Staatsgewerbeschule. Die erste berufliche Praxis erwarb er sich in der Tiroler Mosaik- und Glasmalereianstalt, die mit ihren dekorativen Produkten die halbe Welt belieferte. - Bis der Krieg kam.
Als deutscher Staatsbürger musste Hess an die Front in Belgien und Nordfrankreich - und war dort konfrontiert mit Ungeheuerlichkeiten, fern jeder Vorstellungskraft. Wenn auch seine Kriegspostkarten davon nichts wiedergeben. Was Hess aber blieb, waren der unablässige Drang nach Unabhängigkeit und die Skepsis gegenüber Obrigkeiten. Nach dem Kriegsende konnte Christian Hess, bereits 24jährig, endlich seinem langgehegten Wunsch nach einem Akademiestudium folgen. Die Wahl fiel auf München, neben Wien die traditionelle Ausbildungsstätte der Tiroler Künstler. Sein Lehrer wurde Carl Becker-Gundhal, ein Maler in etwa am Schnittpunkt zwischen Freilichtmalerei und Expressionismus. Für Hess waren die Studienjahre eine Zeit des Auslotens der verschiedenen formalen wie auch technischen Möglichkeiten bis hin zur Bildhauerei. Die lichtdurchflutete Darstellung seines Ateliers in der Theresienstraße etwa steht noch ganz im Zeichen des späten Impressionismus. Mit diesen unterschiedlichen stilistischen Ansätzen spiegelt Hess die allgemeine Münchner Kunstsituation der Nachkriegszeit wider:

 Statement Horst G. Ludwig, Experte für Münchner Kunst des 20. Jahrhunderts
 Dennoch suchte Hess in diesen Jahren den unmittelbaren Anschluss an die internationale Moderne, die nach dem stürmischen Aufbruch zu Jahrhundertbeginn nach dem Krieg allerdings wieder verstärkt zu Tradition, Ordnung und Gegenständlichkeit tendierte. Wichtiges Forum für Hess wurde die Künstlervereinigung der Juryfreien, mit denen er regelmäßig ausstellte und zu deren profiliertesten Mitgliedern er bald zählte.

Statement Ludwig
Neben den kubistisch-abstrakten Künstlern fand Christian Hess vor allem bei Max Beckmann und Carl Hofer Orientierungspunkte. Mit beiden Malern stand er in persönlichem Kontakt. Bei Beckmann sah Hess die visionäre Ausdruckskraft der Formen und Farben mit den bilddominanten schwarzen Konturen, bei Hofer die mehr verhaltene, von elegischer Schwermut und feiner Koloristik geprägte Auffassung. Innerhalb dieses stilistischen Koordinatensystems, zu dem später noch Anregungen durch die italienischen Novecentokünstler kamen, entwickelte Hess sein Schaffen. Im Mittelpunkt seines Interesses stand dabei der Mensch. Dieser ist auch in den Landschaften, wenn auch nicht dargestellt, so doch geheimnisvoll präsent. Die besondere Vorliebe des Künstlers galt der Darstellung von Frauen: Modellen beim Schminktisch, beim Ausruhen, im Atelier. Dem ersten Augenschein nach erscheinen vor allem diese Bilder durch ausgewogene, ruhige Komposition und differenzierte Tonalität der Farben geprägt. Das Streben nach Harmonie und Idealität wird jedoch auch hier gebrochen durch die im Erlebnisgrund des Malers liegenden expressiven Spannungen. Es sind das Bewusstsein des Geworfenseins und die sich daraus ergebende Melancholie, die sich wie ein roter Faden durch das Werk ziehen. Mit dem "Schachspieler" hat Christian Hess wie kaum ein zweiter Maler aus Tirol dem bedrängten Lebensgefühl der Zwischenkriegszeit Ausdruck verliehen.

5. Block - Sizilien
Sizilien war für Hess die andere Welt, fern jener mehr und mehr von Gegensätzen gekennzeichneten Welt Münchens. Zwischen 1925 und 1938 verbringt er in etwa die Hälfte der Zeit in Messina. Und lässt sich in den Bann ziehen vom archaischen Leben der Fischer und Landarbeiter, der Landschaft im Sonnenglanz des Südens und den Zeugnissen der wechselvollen Geschichte. Sein Augenmerk gilt den Monumenten in der Stadt, wie dem berühmten Neptunbrunnen von 1557. Er sucht die Lagunen beim Vorort Ganzirri auf, die für ihren Fischreichtum bekannt sind. Und ist fasziniert vom Blick von seiner Terrasse auf das Meer. Ein besonderer Blickfang ist auch das Bronzedenkmal Don Juan d'Austrias, dem Sieger von Lepanto gegen die Türken. Viele der Motive hält der Maler in spontanen, farbkräftigen Aquarellen fest. Bei der Schwester und deren Familie findet Christian Hess zudem ein ihm sonst unbekanntes Zuhause.
>Statement, Antonia Starrentino, Nichte des Malers
Im Unterschied zu den in München entstandenen Bildern, bei denen es sich zumeist um Interieurs handelt, öffnet Hess sein künstlerisches Interesse in Sizilien der ganzen Vielfalt des Lebens: vom Natur- und Architekturbild bis zum symbolisch verdichteten Alltagsbild. Der Maler als Ruderer. Er strengt sich mehr an als die Einheimischen und bleibt letztlich ein Zuschauer, ein Fremder in ihrer Welt. Von besonderem formalen Reiz sind einige Architekturbilder und Stilleben: die "Tauben auf der Terrasse" mit ihrer subtilen hellen Farbigkeit, die fast abstrakten "Schwarz-roten Häuser" und das ebenso französisch anmutende "Stilleben mit Gazzetta".

6. Block - München und Schweiz
Die harte Wirklichkeit in Deutschland zu Beginn der dreißiger Jahre spitzt sich zu. Die durch die Weltwirtschaftskrise ausgelöste Arbeitslosigkeit hebt das gesellschaftliche System völlig aus den Angeln. "Die Aussichten für die Zukunft sind nicht mehr rosig", schreibt Hess 1932 an die Schwester, "weder politisch noch ökonomisch." Ein Jahr später ist Hitler an der Macht, und die ideologische Gleichschaltung durchdringt sämtliche Lebensbereiche. Noch im selben Jahr legt der Führer in München den Grundstein für das Haus der Deutschen Kunst. Die Juryfreien werden als politisch suspekte Vereinigung aufgelöst. Hess' Aufbruch von München nach Sizilien kommt diesmal einer Flucht gleich. Zwar sind ihm dort noch einige fruchtbare Arbeitswochen gegönnt. Dann aber drängt ihn seine schlechte finanzielle Situation in der Schweiz nach Aufträgen Ausschau zu halten. An Beteiligungen an großen Ausstellungen, wie zuvor in München, Düsseldorf oder Berlin, ist nicht mehr zu denken. "Es ist ein bitterer Moment", notiert er in einem Brief an die Schwester, "mit der Malerei lässt sich nichts mehr anfangen. Sende mir bitte einige Rezepte: Ich werde Koch." Stattdessen heiratet Hess - Cecilia Faesy, Tochter eines Schweizer Bankiers, die ihm bei Bilderverkäufen behilflich ist. Eine kurze Episode. Die Ehe geht nach zwei Jahren in die Brüche. Zu den wenigen Werken, die in der Schweiz entstehen, zählen die Skizze eines Ausflugsboots und ein Städtebild von Luzern. Hess muss das Gemälde unsigniert belassen, da er keine offizielle Arbeitserlaubnis in der Schweiz besitzt. In Deutschland setzt der totalitäre Angriff auf die Kunst mittlerweile neue Maßstäbe. Was Deutsche Malerei zu sein hat, macht Hitler in seiner Rede zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst 1937 in unmissverständlicher Weise klar: "Kubismus, Dadaismus, Futurismus, Impressionismus usw. haben mit unserem deutschen Volke nichts zu tun. Denn alle diese Begriffe sind weder alt noch sind sie modern, sondern sie sind einfach das Gestammel von Menschen, denen die wahrhaft künstlerische Begabung fehlt. Wir werden daher einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung." Eine Umsetzung dieser Ankündigung ist die Schau "Entartete Kunst", in der die gesamte Moderne von Marc bis Kandinsky und von Kokoschka bis Hofer verunglimpft wird. Das zunehmende Gefühl der Isolation in Sizilien, das ihn an den Rand des Selbstmords bringt, sowie die abgelaufene Schweizer Aufenthaltsgenehmigung lassen Hess dennoch 1938 nach München zurückkehren. Zwar erreicht er die Aufnahme in die Reichskulturkammer, wird aber schon bald zum Kriegsdienst bei der Reichspost eingezogen. Dann erkrankt Hess an Tuberkulose. Die letzte Station in München ist das Krankenhaus in Schwabing.

7. Block - Letzte Lebensjahre und Tod in Tirol
Vom Kriegsdienst enthoben, kehrt Hess 1941 in sein Geburtsland Tirol zurück. Seit dem „Anschluss“ herrschen hier für die Künstler die selben Gesetze wie im Altreich. Die Umwälzungen vollzogen sich jedoch weniger drastisch. Zum einen haben die meisten, mehr der Tradition als der Moderne zugeneigten Künstler wenig Anpassungsprobleme an die neuen Verhältnisse, zum anderen ist der Landesleiter der Tiroler Kunstkammer, Max von Esterle, um den Schutz der Künstler vor Übergriffen der Politik bemüht. Von Esterle wird Hess auch ein Atelier in der alten Innsbrucker Universität zugewiesen. Der Maler tritt jedoch nur mehr ein einziges Mal mit einer mythologischen Komposition an die Öffentlichkeit. Zuflucht vor den Unbilden der Zeit findet er, wie er schreibt, bei den griechischen Klassikern und einigen Vierteln Wein. Als am 23. November 1944 zum wiederholten Mal die Bomben der Alliierten auf Innsbruck fallen, geht Christian Hess von seinem Hotelzimmer auf die Straße - und wartet. Zwei Tage später erliegt er im Krankenhaus von Schwaz seinen Verletzungen - knapp vor seinem 49. Geburtstag. Dem Maler waren zwei kurze, aber intensive Schaffensdezennien vergönnt.

8. Block - Schluss
Christian Hess zählt zu jenen Malern zwischen den Kriegen, denen die schwierigen Verhältnisse die ihnen gebührende Anerkennung verwehrt hatten. Ein Künstler zudem, der als Tiroler in München vergessen wurde und als Deutscher in Tirol und in Italien. Noch auf der großen Überblicksausstellung zur klassischen Moderne in Tirol 1973 schien Hess nicht auf. Ein Jahr später setzte seine Wiederentdeckung ein, mit dem glücklichen Umstand, dass ein wesentlicher Teil seines Schaffens erhalten geblieben ist.
> Statement Nuccio Cinquegrani
Seit dieser Zeit ist Christian Hess aus der Geschichte der Zwischenkriegskunst nicht mehr wegzudenken: als ein Maler, der trotz oder gerade wegen der widrigen Bedingungen ein Werk von besonderer inhaltlicher und formaler Dichte schuf.