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			1. Block 
			- Einführung 
			
			Die 
			zwanziger Jahre waren nicht für alle so golden, wie sie in 
			literarischen Rückblicken gerne dargestellt werden. Vor allem nicht 
			für Künstler, die am Beginn ihres Schaffens standen. So wie etwa 
			Christian Hess, geboren in Bozen, gestorben in Schwaz, in seiner 
			Lebensgeschichte und künstlerischen Haltung aber eine Persönlichkeit 
			europäischen Zuschnitts. 
			Mit seiner Kunst schuf Hess eine Art Gegenwelt zu 
			der eigenen spannungsreichen Lebenssituation wie auch allgemein den 
			zunehmend widriger werdenden Zeitverhältnissen. Die zentrale 
			Inspirationsquelle fand der Maler dabei in Sizilien. 
			
			2. Block - Erster Aufenthalt in Sizilien 
			
			 Christian Hess reist erstmals 1925 nach Sizilien. 
			Ein dreißigjähriger Maler, der aufgrund der Verzögerung durch den 
			Krieg erst im Jahr zuvor sein Münchner Akademiestudium abschließen 
			konnte. Die erste Station der Italienreise war Florenz, wo Hess im 
			Palazzo Pitti für deutsche Sammler alte Meister kopierte - 
			Auftragsarbeiten, um die Fahrtkosten zu decken. Mit großen 
			Erwartungen brach er dann weiter auf, denn seine Schwester Emma 
			hatte ihm begeisterte Briefe aus Messina geschrieben. Emma ist seit kurzem in der sizilianischen 
			Hafenstadt verheiratet. Sie ist eine der wenigen aus seiner Familie, 
			die noch lebt. Das Verhältnis zwischen den Geschwistern ist daher 
			besonders eng. Und sie hat ihm nicht zuviel versprochen. Schon die 
			ersten Eindrücke in Sizilien erschließen dem Maler eine völlig neue 
			Welt: mit ihren Menschen und deren seit Jahrhunderten unverändert 
			gebliebenen Arbeit, mit der von antiken Mythen durchpulsten 
			Landschaft, mit dem unvergleichlichen mediterranen Licht. Dies sei 
			das Paradies, schreibt Hess einem Künstlerfreund nach Deutschland. Enthusiastisch stürzt sich der Maler auf die 
			verschiedenen Motive. Und wenngleich er nur langsam Äquivalente für 
			sein künstlerisches Erleben findet, weiß er, dass ihn dieses Land 
			nicht mehr loslassen wird. 
			
			
			3. und 4. Block   
			Lebensstationen Bozen, Innsbruck, München - Mitglied der Juryfreien 
			
			Auf der Rückreise nach Deutschland macht Christian 
			Hess Halt in Bozen und Innsbruck, seinen ersten Lebensstationen. 
			Bozen war seine Geburtsstadt, das Eckgebäude nördliche 
			Lauben/Obstmarkt sein Elternhaus. Der Vater, der aus Württemberg 
			stammte, arbeitete hier als Beamter. Nach seinem frühen Tod 
			übersiedelte Christian Hess 1905 mit der Mutter und zwei Schwestern 
			nach Innsbruck, wo Verwandte lebten. Vom Gymnasium wechselte er hier 
			in die seinen Interessen und Begabungen mehr entsprechende 
			Staatsgewerbeschule. Die erste berufliche Praxis erwarb er sich in 
			der Tiroler Mosaik- und Glasmalereianstalt, die mit ihren 
			dekorativen Produkten die halbe Welt belieferte. - Bis der Krieg 
			kam. 
			Als deutscher Staatsbürger musste Hess an die 
			Front in Belgien und Nordfrankreich - und war dort konfrontiert mit 
			Ungeheuerlichkeiten, fern jeder Vorstellungskraft. Wenn auch seine 
			Kriegspostkarten davon nichts wiedergeben. Was Hess aber blieb, 
			waren der unablässige Drang nach Unabhängigkeit und die Skepsis 
			gegenüber Obrigkeiten. Nach dem Kriegsende konnte Christian Hess, 
			bereits 24jährig, endlich seinem langgehegten Wunsch nach einem 
			Akademiestudium folgen. Die Wahl fiel auf München, neben Wien die 
			traditionelle Ausbildungsstätte der Tiroler Künstler. Sein Lehrer 
			wurde Carl Becker-Gundhal, ein Maler in etwa am Schnittpunkt 
			zwischen Freilichtmalerei und Expressionismus. Für Hess waren die 
			Studienjahre eine Zeit des Auslotens der verschiedenen formalen wie 
			auch technischen Möglichkeiten bis hin zur Bildhauerei. Die 
			lichtdurchflutete Darstellung seines Ateliers in der Theresienstraße 
			etwa steht noch ganz im Zeichen des späten Impressionismus. Mit 
			diesen unterschiedlichen stilistischen Ansätzen spiegelt Hess die 
			allgemeine Münchner Kunstsituation der Nachkriegszeit wider: 
			
			
			 Statement Horst G. Ludwig, Experte für Münchner 
			Kunst des 20. Jahrhunderts 
			 Dennoch suchte Hess in diesen Jahren den 
			unmittelbaren Anschluss an die internationale Moderne, die nach dem 
			stürmischen Aufbruch zu Jahrhundertbeginn nach dem Krieg allerdings 
			wieder verstärkt zu Tradition, Ordnung und Gegenständlichkeit 
			tendierte. Wichtiges Forum für Hess wurde die 
			Künstlervereinigung der Juryfreien, mit denen er regelmäßig 
			ausstellte und zu deren profiliertesten Mitgliedern er bald zählte.  
			
			
			Statement Ludwig 
			
			Neben den kubistisch-abstrakten Künstlern fand 
			Christian Hess vor allem bei Max Beckmann und Carl Hofer 
			Orientierungspunkte. Mit beiden Malern stand er in persönlichem 
			Kontakt. Bei Beckmann sah Hess die visionäre Ausdruckskraft der 
			Formen und Farben mit den bilddominanten schwarzen Konturen, bei 
			Hofer die mehr verhaltene, von elegischer Schwermut und feiner 
			Koloristik geprägte Auffassung. Innerhalb dieses stilistischen Koordinatensystems, 
			zu dem später noch Anregungen durch die italienischen 
			Novecentokünstler kamen, entwickelte Hess sein Schaffen. Im 
			Mittelpunkt seines Interesses stand dabei der Mensch. Dieser ist 
			auch in den Landschaften, wenn auch nicht dargestellt, so doch 
			geheimnisvoll präsent. Die besondere Vorliebe des Künstlers galt der 
			Darstellung von Frauen: Modellen beim Schminktisch, beim Ausruhen, 
			im Atelier. Dem ersten Augenschein nach erscheinen vor allem 
			diese Bilder durch ausgewogene, ruhige Komposition und 
			differenzierte Tonalität der Farben geprägt. Das Streben nach 
			Harmonie und Idealität wird jedoch auch hier gebrochen durch die im 
			Erlebnisgrund des Malers liegenden expressiven Spannungen. Es sind 
			das Bewusstsein des Geworfenseins und die sich daraus ergebende 
			Melancholie, die sich wie ein roter Faden durch das Werk ziehen. Mit 
			dem "Schachspieler" hat Christian Hess wie kaum ein zweiter Maler 
			aus Tirol dem bedrängten Lebensgefühl der Zwischenkriegszeit 
			Ausdruck verliehen. 
			
			
			5. Block - Sizilien 
			
			Sizilien war für Hess die andere Welt, fern jener 
			mehr und mehr von Gegensätzen gekennzeichneten Welt Münchens.
			Zwischen 1925 und 1938 verbringt er in etwa die Hälfte der Zeit in 
			Messina. Und lässt sich in den Bann ziehen vom archaischen Leben der 
			Fischer und Landarbeiter, der Landschaft im Sonnenglanz des Südens 
			und den Zeugnissen der wechselvollen Geschichte. Sein Augenmerk gilt 
			den Monumenten in der Stadt, wie dem berühmten Neptunbrunnen von 
			1557. Er sucht die Lagunen beim Vorort Ganzirri auf, die für ihren 
			Fischreichtum bekannt sind. Und ist fasziniert vom Blick von seiner 
			Terrasse auf das Meer. Ein besonderer Blickfang ist auch das 
			Bronzedenkmal Don Juan d'Austrias, dem Sieger von Lepanto gegen die 
			Türken. Viele der Motive hält der Maler in spontanen, farbkräftigen 
			Aquarellen fest.
			Bei der Schwester und deren Familie findet Christian Hess zudem ein 
			ihm sonst unbekanntes Zuhause. 
			>Statement, Antonia Starrentino, Nichte des Malers 
			Im Unterschied zu den in München entstandenen 
			Bildern, bei denen es sich zumeist um Interieurs handelt, öffnet 
			Hess sein künstlerisches Interesse in Sizilien der ganzen Vielfalt 
			des Lebens: vom Natur- und Architekturbild bis zum symbolisch 
			verdichteten Alltagsbild. Der Maler als Ruderer. Er strengt sich mehr an als 
			die Einheimischen und bleibt letztlich ein Zuschauer, ein Fremder in 
			ihrer Welt.
			Von besonderem formalen Reiz sind einige Architekturbilder und 
			Stilleben: die "Tauben auf der Terrasse" mit ihrer subtilen hellen 
			Farbigkeit, die fast abstrakten "Schwarz-roten Häuser" und das 
			ebenso französisch anmutende "Stilleben mit Gazzetta". 
			
			
			6. Block - München und Schweiz 
			
			Die harte Wirklichkeit in Deutschland zu Beginn 
			der dreißiger Jahre spitzt sich zu. Die durch die 
			Weltwirtschaftskrise ausgelöste Arbeitslosigkeit hebt das 
			gesellschaftliche System völlig aus den Angeln. "Die Aussichten für 
			die Zukunft sind nicht mehr rosig", schreibt Hess 1932 an die 
			Schwester, "weder politisch noch ökonomisch." Ein Jahr später ist 
			Hitler an der Macht, und die ideologische Gleichschaltung 
			durchdringt sämtliche Lebensbereiche. Noch im selben Jahr legt der 
			Führer in München den Grundstein für das Haus der Deutschen Kunst. 
			Die Juryfreien werden als politisch suspekte Vereinigung aufgelöst. Hess' Aufbruch von München nach Sizilien kommt 
			diesmal einer Flucht gleich. Zwar sind ihm dort noch einige 
			fruchtbare Arbeitswochen gegönnt. Dann aber drängt ihn seine 
			schlechte finanzielle Situation in der Schweiz nach Aufträgen 
			Ausschau zu halten. An Beteiligungen an großen Ausstellungen, wie 
			zuvor in München, Düsseldorf oder Berlin, ist nicht mehr zu denken. 
			"Es ist ein bitterer Moment", notiert er in einem Brief an die 
			Schwester, "mit der Malerei lässt sich nichts mehr anfangen. Sende 
			mir bitte einige Rezepte: Ich werde Koch."
			Stattdessen heiratet Hess - Cecilia Faesy, Tochter eines Schweizer 
			Bankiers, die ihm bei Bilderverkäufen behilflich ist. Eine kurze 
			Episode. Die Ehe geht nach zwei Jahren in die Brüche. Zu den wenigen 
			Werken, die in der Schweiz entstehen, zählen die Skizze eines 
			Ausflugsboots und ein Städtebild von Luzern. Hess muss das Gemälde 
			unsigniert belassen, da er keine offizielle Arbeitserlaubnis in der 
			Schweiz besitzt.
			In Deutschland setzt der totalitäre Angriff auf die Kunst 
			mittlerweile neue Maßstäbe. Was Deutsche Malerei zu sein hat, macht 
			Hitler in seiner Rede zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst 
			1937 in unmissverständlicher Weise klar: "Kubismus, Dadaismus, 
			Futurismus, Impressionismus usw. haben mit unserem deutschen Volke 
			nichts zu tun. Denn alle diese Begriffe sind weder alt noch sind sie 
			modern, sondern sie sind einfach das Gestammel von Menschen, denen 
			die wahrhaft künstlerische Begabung fehlt. Wir werden daher einen 
			unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente 
			unserer Kulturzersetzung." Eine Umsetzung dieser Ankündigung ist die 
			Schau "Entartete Kunst", in der die gesamte Moderne von Marc bis 
			Kandinsky und von Kokoschka bis Hofer verunglimpft wird. Das zunehmende Gefühl der Isolation in Sizilien, 
			das ihn an den Rand des Selbstmords bringt, sowie die abgelaufene 
			Schweizer Aufenthaltsgenehmigung lassen Hess dennoch 1938 nach 
			München zurückkehren. Zwar erreicht er die Aufnahme in die 
			Reichskulturkammer, wird aber schon bald zum Kriegsdienst bei der 
			Reichspost eingezogen. Dann erkrankt Hess an Tuberkulose. Die letzte 
			Station in München ist das Krankenhaus in Schwabing. 
			
			
			7. Block - Letzte Lebensjahre und Tod in Tirol 
			
			Vom Kriegsdienst enthoben, kehrt Hess 1941 in sein 
			Geburtsland Tirol zurück. Seit dem „Anschluss“ herrschen hier für 
			die Künstler die selben Gesetze wie im Altreich. Die Umwälzungen 
			vollzogen sich jedoch weniger drastisch. Zum einen haben die 
			meisten, mehr der Tradition als der Moderne zugeneigten Künstler 
			wenig Anpassungsprobleme an die neuen Verhältnisse, zum anderen ist 
			der Landesleiter der Tiroler Kunstkammer, Max von Esterle, um den 
			Schutz der Künstler vor Übergriffen der Politik bemüht. Von Esterle 
			wird Hess auch ein Atelier in der alten Innsbrucker Universität 
			zugewiesen. Der Maler tritt jedoch nur mehr ein einziges Mal mit 
			einer mythologischen Komposition an die Öffentlichkeit. Zuflucht vor 
			den Unbilden der Zeit findet er, wie er schreibt, bei den 
			griechischen Klassikern und einigen Vierteln Wein.
			Als am 23. November 1944 zum wiederholten Mal die Bomben der 
			Alliierten auf Innsbruck fallen, geht Christian Hess von seinem 
			Hotelzimmer auf die Straße - und wartet. Zwei Tage später erliegt er 
			im Krankenhaus von Schwaz seinen Verletzungen - knapp vor seinem 49. 
			Geburtstag. Dem Maler waren zwei kurze, aber intensive 
			Schaffensdezennien vergönnt. 
			
			
			8. Block - Schluss 
			
			
			Christian Hess zählt zu jenen Malern zwischen den 
			Kriegen, denen die schwierigen Verhältnisse die ihnen gebührende 
			Anerkennung verwehrt hatten. Ein Künstler zudem, der als Tiroler in 
			München vergessen wurde und als Deutscher in Tirol und in Italien. 
			Noch auf der großen Überblicksausstellung zur klassischen Moderne in 
			Tirol 1973 schien Hess nicht auf. Ein Jahr später setzte seine 
			Wiederentdeckung ein, mit dem glücklichen Umstand, dass ein 
			wesentlicher Teil seines Schaffens erhalten geblieben ist. 
			
			> Statement Nuccio Cinquegrani 
			
			Seit dieser Zeit ist Christian Hess aus der 
			Geschichte der Zwischenkriegskunst nicht mehr wegzudenken: als ein 
			Maler, der trotz oder gerade wegen der widrigen Bedingungen ein Werk 
			von besonderer inhaltlicher und formaler Dichte schuf.  |