Die Rede des
Kunstkritiker Hans Eckstein
Die
zwanziger Jahre waren für die jungen Künstler in München nicht
so golden, wie sie in literarischen Rückbilden dargestellt
werden. Neuen künstlerischen Visionen, neuen Formen in der
Malerei, Skulptur und Architektur war die traditionsreiche
Kunststadt nicht sehr aufgeschlossen. Die seit langem
bestehenden Künstlerverbände machten es jüngeren Talenten nicht
leicht, ihren Werken einen Platz in den grossen Ausstellungen zu
erobern, und von der städtischen und staatlichen Kunstpflege
hatten sie nicht viel zu erwarten. So hat eine kleine
Künstlerschar, die sich in einem Verband der Juryfreien
zusammengefunden hatte, ihre Kameradschaft als einen Kampfbund
gegen die Macht der alteingessenen Künstlerschaft verstanden und
sich gewiss revolutionärer gefühlt, als sie es tatsächlich war.
Aber wer den Münchner Künstlernachwuchs und seine Arbeiten
kennen lernen wollte, musste um 1930 in das Ausstellungslokal
gehen, das die Juryfreien an der Ecke der Prinzregentenstrasse
gegenüber dem Prinz-Carl-Palais sich eingerichtet hatten. Dort
zeigte man nicht nur sich selber, d.h. die Arbeiten der
Mit-glieder, sondern auch das, was damals die Münchner
städtischen und staatlichen Galerien noch nicht aus-stellten:
Abstrakte und Surrealisten mit Albers, Arp, Baumeister,
Brancousi, Max Ernst, Mondrian, Picasso, Schwitters usw. und
moderne Architektur, die in München nicht, ja noch lange nicht
gebaut wurde.
Die Juryfreien veranstalteten Konzerte moderner Musik von Karl
Amadeus Hartmann, Milhaud und anderen. Die wenigen, in den
Ausstlellungen getätigten Ankäufe vermochten die Kosten nicht zu
decken. Darum wurden Faschingsfeste veranstaltet. Sie gehörten
zu den amüsantesten aller Münchner Feste.
Als Hitler kam und nationalsozialistische Kulturfeldwebel
entschieden, was Kunst sei, was nicht, war das alles zu Ende.
Der Verband der Juryfreien gehörte nun zu den verbotenen «kulturbolschewistischen»
Vereinigungen. Seine Mitglieder durften nur noch im verborgenen
malen, plastische Gebilde aufbauen oder Steine behauen.
Ich habe die Situation, in der sich der Münchner
Künstlernachwuchs um 1930 befand, und die Unternehmungen der
Juryfreien etwas geschildert. Denn da war das Milieu, in dem der
Maler Christian Hess in München lebte. In den Ausstellungen der
Juryfreie sah ich zum erstenmal Bilder von ihm. Bei den Feste
der Juryfreien habe ich den damals gegen fünfundreissig alten
nicht sehr grossen, zierlichen, hageren Man mit schmalem, scharf
geschnittenem, intelligentem Gesicht kennen gelernt. Neben den
mit bajuwarische Derbheit und fast erschreckender Direktheit des
Ausdrucks, gleichwohl empfindsam, mit etwas an van Gogh
erinnernden Pinselstrichen gemalten Bildern von Josef Scharl
haben mir in den Ausstellungen an de Prinzregentenstrasse die
ganz anderen, sehr stillen Bilder von Christian Hess den wohl
stärksten Eindruck gemacht.
Jedenfalls gehören sie unter den ungezählten Bildern, die ich
um diese Zeit in Münchner Ausstellungen sah, zu den wenigen, von
denen mein Gedächtnis eine deutliche Vorstellung bewahrt hat. So
war es, als ich unlängst in Messina den sorgsam gesammelten,
verwahrten und gepflegten Nachlass dieses Malers sah, bei
manchen Bildern. eine Wiedergebung mit Bekannten. Die
Enttäuschung, die man nicht selten hat, wenn man nach
Jahrzehnten Freunde und Bilder einmal wiedersieht, ist
ausgeblieben. Im Gegenteil sind vor vielen, auch später gemalten
Bildern, die ich jetzt zum ersten Male sah, die früheren
Eindrücke bekräftigt worden. Das Versprechen, das die
frühen, im Anfang seiner dreissiger Jahre gaben, ist mit dem
späteren Werk in reichem Masse eingelöst worden. Das vermochte
ich noch nicht so zu empfinden, als ich 1948 in einer
umfangreichen Ausstellung Münchner Künstler einmal wieder ein,
zwei Bilder von Hess sah, die sich freilich aus der Menge des
Gezeitgen durch ihre kraftvolle, kultivierte Malerei deutlich
heraushoben. Hess war damals, als die Künstler in Deutschland
wieder ihre Arbeiten öffentlich zeigen konnten, schon tot.
Christian Hess hat es zeitlebens nicht leicht ge-habt. Er hat es
sich auch nicht leicht gemacht. Es ging ihm zwar alles leicht
von Hand, ob er zeichnete, malte, Marionetten schnitzte, am
Ostseestrand mehr spielerisch Sandfiguren aufbaute oder im
Atelier sehr ernsthaft modellierte. Aber er war nicht ohne
Selbst-kritik und hat seine künstlerische Tätigkeit ernster
ge-nommen, als es nach aussen hin in die Erscheinung getreten
sein mochte. Er hat in seinen jungen Jahren, nachdem er
frühzeitig das Gymnasium verlassen und in der Inns-brucker
Gewerbeschule eine erste Ausbildung als Maler hinter sich hatte,
mancherlei kunsthandwerkliche Ar-beiten tun müssen, bei einem
Glasmaler, in einer ke-ramischen Werkstatt, ehe er 1919 in
München die Akademie der bildenden Künste besuchen konnte. Auch
nach dem Studium bei Becker-Gundahl hat sich Hess nach
Verdienstmöglichkeiten umsehen müssen. In einem Pforzheimer
Juwelier fand er wohl nicht einen Mäzen, aber einen Auftraggeber
für Kopien nach alten Meistern in den Galerien von Wien und
Florenz. Mochte diese Tätigkeit auch seinem bildnerischen Drang
und Ehrgeiz nicht Genüge getan haben, so darf man doch annehmen,
dass sie der Kultivierung seiner angeborenen Sensibiltät für
farbige Werte und Abstufungen zugute gekommen ist. Jedenfalls
hat ihn seine Kopier-Tätigkeit nicht, wie Lenbach, zu einer
altmeisterlichen Manier verführt. Er lernte von den alten
Meistern, erhielt sich aber die Freiheit, für die unmittelbar
von der Natur gemachten Farb- und Formerlebnisse einen ihnen
angemessenen eigenen Ausdruck zu finden.
Zunächst hielt sich noch vieles, was Hess malte in der Tonigkeit
der Münchner Malschule. Sein unermüdlicher Eifer, nach der Natur
zu zeichnen und zu malen, liess ihn allmählich freier von ihr
werden. Vor allem haben ihm längere Aufenthalte in Italien, der
Sommer, den er auf Sizilien bei seiner in Messina verheirateten
Schwester verbrachte, bei der Suche nach einem bildnerischen
Vokabular, in dem er sich ausdrücken kann, offenbar sehr
geholfen. In mehrerer um 1927-28 entstandenen Bildern lässt sich
eine gesteigerte Farbigkeit und eine zunehmende Präzision der
Formen erkennen.
Das Neptun-Denkmal in Messina, ein keinesweg sehr
eindrucksvolles Werk eines klassizistischen Bildhauers, gab den
Anstoss zu einer grossgesehenen Komposition, in der das
Zuständliche fast ins Mythisch-Allegorische gesteigert erscheint
und etwas von einem magischen Romantizismus spürbar wird, der
den Betrachter ein wenig an Chirico erinnert. Es zeigt sich
zuweilen eine Neigung, die Forme zu übertreiben, und zu
expressiver Perspektive, wie in dem Bild der Brücke von
Bracciano und in dem vortrefflich mit farbigen Mitteln plastisch
modelierten Torso. Eine Häusergruppe wird zu einer
schwarz-weissen Komposition abstrakter Kuben. Aus Gemälde von
Cezanne geschöpfte Anregungen werden in Stilleben von schöner
lyrischer Zuständlichkeit verarbeitet. In Landschaften werden
die Farb-und Tonwerte sehr bewusst gestuft. Die gezeichneten und
gemalte Akte werden um 1930 bewegter, und in den dreissiger
Jahren entstehen auch klar gebaute abstrakte Stilleben.
Für diejenigen, die vor Jahrzehnten immer nur einzelne Bilder
von Christian Hess sahen und eine Erinnerung an sie bewahrt
haben, öffnet diese Ausstellung seines gesammelten gezeichneten
und gemalte Werks - von den plastischen Arbeiten ist leider
nichts erhalten geblieben - zum erstenmal den Blick auf die
Entwicklung dieses so reich begabten Künstlers. Alle anderen
werden mit einem Werk bekannt das Christian Hess in die Reihe
der besten und interessantesten Talente stellt, die zwischen den
beide Weltkriegen aus der traditionsreichen Münchner Schule
hervorgegangen ist und neue Wege gegangen sind.
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