Ausstellungen 1974-1979

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ERöFFNUNG - MüNCHEN 3 FEBRUAR 1977
Kunstverein - Grossen Saal - 20 Uhr

Die Rede des Kunstkritiker Hans Eckstein

Die zwanziger Jahre waren für die jungen Künstler in München nicht so golden, wie sie in literarischen Rückbilden dargestellt werden. Neuen künstlerischen Visionen, neuen Formen in der Malerei, Skulptur und Architektur war die traditionsreiche Kunststadt nicht sehr aufgeschlossen. Die seit langem bestehenden Künstlerverbände machten es jüngeren Talenten nicht leicht, ihren Werken einen Platz in den grossen Ausstellungen zu erobern, und von der städtischen und staatlichen Kunstpflege hatten sie nicht viel zu erwarten. So hat eine kleine Künstlerschar, die sich in einem Verband der Juryfreien zusammengefunden hatte, ihre Kameradschaft als einen Kampfbund gegen die Macht der alteingessenen Künstlerschaft verstanden und sich gewiss revolutionärer gefühlt, als sie es tatsächlich war.
Aber wer den Münchner Künstlernachwuchs und seine Arbeiten kennen lernen wollte, musste um 1930 in das Ausstellungslokal gehen, das die Juryfreien an der Ecke der Prinzregentenstrasse gegenüber dem Prinz-Carl-Palais sich eingerichtet hatten. Dort zeigte man nicht nur sich selber, d.h. die Arbeiten der Mit-glieder, sondern auch das, was damals die Münchner städtischen und staatlichen Galerien noch nicht aus-stellten: Abstrakte und Surrealisten mit Albers, Arp, Baumeister, Brancousi, Max Ernst, Mondrian, Picasso, Schwitters usw. und moderne Architektur, die in München nicht, ja noch lange nicht gebaut wurde.
Die Juryfreien veranstalteten Konzerte moderner Musik von Karl Amadeus Hartmann, Milhaud und anderen. Die wenigen, in den Ausstlellungen getätigten Ankäufe vermochten die Kosten nicht zu decken. Darum wurden Faschingsfeste veranstaltet. Sie gehörten zu den amüsantesten aller Münchner Feste.
Als Hitler kam und nationalsozialistische Kulturfeldwebel entschieden, was Kunst sei, was nicht, war das alles zu Ende. Der Verband der Juryfreien gehörte nun zu den verbotenen «kulturbolschewistischen» Vereinigungen. Seine Mitglieder durften nur noch im verborgenen malen, plastische Gebilde aufbauen oder Steine behauen.
Ich habe die Situation, in der sich der Münchner Künstlernachwuchs um 1930 befand, und die Unternehmungen der Juryfreien etwas geschildert. Denn da war das Milieu, in dem der Maler Christian Hess in München lebte. In den Ausstellungen der Juryfreie sah ich zum erstenmal Bilder von ihm. Bei den Feste der Juryfreien habe ich den damals gegen fünfundreissig alten nicht sehr grossen, zierlichen, hageren Man mit schmalem, scharf geschnittenem, intelligentem Gesicht kennen gelernt. Neben den mit bajuwarische Derbheit und fast erschreckender Direktheit des Ausdrucks, gleichwohl empfindsam, mit etwas an van Gogh erinnernden Pinselstrichen gemalten Bildern von Josef Scharl haben mir in den Ausstellungen an de Prinzregentenstrasse die ganz anderen, sehr stillen Bilder von Christian Hess den wohl stärksten Eindruck gemacht.
 Jedenfalls gehören sie unter den ungezählten Bildern, die ich um diese Zeit in Münchner Ausstellungen sah, zu den wenigen, von denen mein Gedächtnis eine deutliche Vorstellung bewahrt hat. So war es, als ich unlängst in Messina den sorgsam gesammelten, verwahrten und gepflegten Nachlass dieses Malers sah, bei manchen Bildern. eine Wiedergebung mit Bekannten. Die Enttäuschung, die man nicht selten hat, wenn man nach Jahrzehnten Freunde und Bilder einmal wiedersieht, ist ausgeblieben. Im Gegenteil sind vor vielen, auch später gemalten Bildern, die ich jetzt zum ersten Male sah, die früheren Eindrücke bekräftigt worden. Das Versprechen, das die
frühen, im Anfang seiner dreissiger Jahre gaben, ist mit dem späteren Werk in reichem Masse eingelöst worden. Das vermochte ich noch nicht so zu empfinden, als ich 1948 in einer umfangreichen Ausstellung Münchner Künstler einmal wieder ein, zwei Bilder von Hess sah, die sich freilich aus der Menge des Gezeitgen durch ihre kraftvolle, kultivierte Malerei deutlich heraushoben. Hess war damals, als die Künstler in Deutschland wieder ihre Arbeiten öffentlich zeigen konnten, schon tot.
Christian Hess hat es zeitlebens nicht leicht ge-habt. Er hat es sich auch nicht leicht gemacht. Es ging ihm zwar alles leicht von Hand, ob er zeichnete, malte, Marionetten schnitzte, am Ostseestrand mehr spielerisch Sandfiguren aufbaute oder im Atelier sehr ernsthaft modellierte. Aber er war nicht ohne Selbst-kritik und hat seine künstlerische Tätigkeit ernster ge-nommen, als es nach aussen hin in die Erscheinung getreten sein mochte. Er hat in seinen jungen Jahren, nachdem er frühzeitig das Gymnasium verlassen und in der Inns-brucker Gewerbeschule eine erste Ausbildung als Maler hinter sich hatte, mancherlei kunsthandwerkliche Ar-beiten tun müssen, bei einem Glasmaler, in einer ke-ramischen Werkstatt, ehe er 1919 in München die Akademie der bildenden Künste besuchen konnte. Auch nach dem Studium bei Becker-Gundahl hat sich Hess nach Verdienstmöglichkeiten umsehen müssen. In einem Pforzheimer Juwelier fand er wohl nicht einen Mäzen, aber einen Auftraggeber für Kopien nach alten Meistern in den Galerien von Wien und Florenz. Mochte diese Tätigkeit auch seinem bildnerischen Drang und Ehrgeiz nicht Genüge getan haben, so darf man doch annehmen, dass sie der Kultivierung seiner angeborenen Sensibiltät für farbige Werte und Abstufungen zugute gekommen ist. Jedenfalls hat ihn seine Kopier-Tätigkeit nicht, wie Lenbach, zu einer altmeisterlichen Manier verführt. Er lernte von den alten Meistern, erhielt sich aber die Freiheit, für die unmittelbar von der Natur gemachten Farb- und Formerlebnisse einen ihnen angemessenen eigenen Ausdruck zu finden.
Zunächst hielt sich noch vieles, was Hess malte in der Tonigkeit der Münchner Malschule. Sein unermüdlicher Eifer, nach der Natur zu zeichnen und zu malen, liess ihn allmählich freier von ihr werden. Vor allem haben ihm längere Aufenthalte in Italien, der Sommer, den er auf Sizilien bei seiner in Messina verheirateten Schwester verbrachte, bei der Suche nach einem bildnerischen Vokabular, in dem er sich ausdrücken kann, offenbar sehr geholfen. In mehrerer um 1927-28 entstandenen Bildern lässt sich eine gesteigerte Farbigkeit und eine zunehmende Präzision der Formen erkennen.
Das Neptun-Denkmal in Messina, ein keinesweg sehr eindrucksvolles Werk eines klassizistischen Bildhauers, gab den Anstoss zu einer grossgesehenen Komposition, in der das Zuständliche fast ins Mythisch-Allegorische gesteigert erscheint und etwas von einem magischen Romantizismus spürbar wird, der den Betrachter ein wenig an Chirico erinnert. Es zeigt sich zuweilen eine Neigung, die Forme zu übertreiben, und zu expressiver Perspektive, wie in dem Bild der Brücke von Bracciano und in dem vortrefflich mit farbigen Mitteln plastisch modelierten Torso. Eine Häusergruppe wird zu einer schwarz-weissen Komposition abstrakter Kuben. Aus Gemälde von Cezanne geschöpfte Anregungen werden in Stilleben von schöner lyrischer Zuständlichkeit verarbeitet. In Landschaften werden die Farb-und Tonwerte sehr bewusst gestuft. Die gezeichneten und gemalte Akte werden um 1930 bewegter, und in den dreissiger Jahren entstehen auch klar gebaute abstrakte Stilleben.
Für diejenigen, die vor Jahrzehnten immer nur einzelne Bilder von Christian Hess sahen und eine Erinnerung an sie bewahrt haben, öffnet diese Ausstellung seines gesammelten gezeichneten und gemalte Werks - von den plastischen Arbeiten ist leider nichts erhalten geblieben - zum erstenmal den Blick auf die Entwicklung dieses so reich begabten Künstlers. Alle anderen werden mit einem Werk bekannt das Christian Hess in die Reihe der besten und interessantesten Talente stellt, die zwischen den beide Weltkriegen aus der traditionsreichen Münchner Schule hervorgegangen ist und neue Wege gegangen sind.

 

 

Gruss von Nuccio Cinquegrani im Namen des Förderungskomitees

 

Dreissig Jahre nach der letzen Ausstellung der Werke von Christian Hess bei der Exportashau 1948 in München , habe ich die Ehre hier in München das Zeugnis des Lebens und der Werke dieses Malers, einer der interessantesten der “Juryfreien“, darzustellen. Im Namen der Nichte von Christian Hess, Frau Luisa Ardizzone, hier anwesend und  des Förderungskomitees von Sizilien, wo Hess neue Eingebungen und grosszügige Gastfreundschaft fand, entbiete ich ein Gruss allen denen, die diese Ausstellung unterstüzt haben und den deutschen Künstlern, die ihren Geist freizuhalten wussten. Es ist mein Wunsch, hier den Director des Italienischen Kulturinstituts in Innsbruck, prof. Aldo Lucciarini, der vor zwei Wochen in Innsbruck gestorben ist und der die erste grosse Ausstellung von Christian Hess in Österreich im Landesmuseum Ferdinandeum gestaltet hat, dankbar zu erwähnen. Mein besten Dank an allen verehrten Gäste, die mit ihrer Anwesenheit diese Ausstellung beehren. Diese Gedächtnisausstellung bereiste mit Unterstützung des Europäischen Parlamentes bereits neun der bedeutendsten Städte Italiens, sowie Innsbruck und Passau. Dem Kunstverein, der diese Gedächtnisausstellung vorstellt, verleihe ich diese Erinnerungsmedaille, vom Verkehrsamt von Messina geprägt, und eine Monographie des Künstlers von der sizilianischen Sparkasse gedrückt.
 

Persöhnlichkeiten und Kritiker anwesend

 
 

Eine Momentaufnahme des Abends der Eröffnung: links der Kunstkritiker Hans Eckstein spricht mit Wolf Neitzel, Sohn der Konzertaltistin Marya Neitzel (Freundin von Hess); die Nichte von Christian Hess Frau Luisa Ardizzone;  in der Mitte Hans J. Grollmann Direktor des  Kunstverein  und  Präsident  des  Landesberufsverband  Bildender  Künstler. Unter  den Teilnehmer der  Eröffnung der Ausstellung: Dr. Friedrich L. Bayrthal, Präsident des Kunstverein, Prof. Jürgen Reipka Direktor der Akademie der Bildenden Kunst von München, Prof. Erich Steingräber, Generaldirektor der Bayerischen Staatgemälde Sammlung, Dr. Remigius Netzer der Bayerische Rundfunk, Prof. Günther Grassmann und Wolf Panizza (beide Maler der damalige Juryfreie die im März 1931 von den SA mit Christian Hess und Adolf Hartmann bluting geschlagen worden); der Schriftsteller Ermann Stahl, Frau Geitlinger, Frau Juliane Roh und die Maler Sigfried Künhel, Fritz Burkhardt (alle Freunde von Hess); Dr. Kolbe, Kulturreferent der Stadt München; Dr. Witteck Pressereferent des Goethe Institut von München, Prof. Benito Romussi, Direktor des Istituto Italiano di Cultura, Dr. Ippolito Vincenti-Mareri Direktor des Staatlichen Italianischen Frendenverkehrsamtes in München,  Dr. Goretti, Konsul Italiens in München. Es waren auch anwesend Kunstkritiker und Journalisten, unter denen: Ingrid Seidenfaden und Wolfgang Kriestlirb  (Abendzeitung); Konrad Franke, Christoph Lyndenmeyer und Stolze Rüdiger (Bayerischer Rundfunk); Reinhard Muller-Mehlis (Münchner Merkur), Jürgen Morschel, Karl Uhde und Wolfgang Lengsfeld (Suddeutsche Zeitung), Helmuth Schneider (Bildzeitung), Christian Uhde (Staadtanzeiger), Lilo Decker und Dr. Neinhaus (Redaktion Artis) und Cameramen der Rundfunk-Fernsehn Verband Bayern.

 

Günther Grassmann erinnert Christian Hess

Ein weiteres Zeitdokument der Bewegung “Juryfreie” wurde vom Maler Günther Grassmann (1900 - 1993) im Februar 1977 herausgegeben. Zum Anlass der abschliessenden Etappe der Wander-ausstellung “der Rückkehr Hess’ ” im Münchner Kunstverein sagte Grassmann:

“In meinem Leben habe ich Hess in den Jahren zwischen 1928 und 1933 getroffen, als wir Mitglieder der “Juryfreien” waren, die, sofern ich mich erinnere, 1912 gegründet wurde. 1927 war es eine Vereinigung junger, gleichgesinnter Künstler, die sich bewußt von der naturalistischen münchner Tradition distanzierten.

Christian Hess war, gemeinsam mit Joseph Scharl, eine der wichtigsten Persönlichkeiten dieser Bewegung. Er orientierte sich am damals viel diskutierten Max Beckmann. Die großzügigen Galerieräume der “Juryfreien” befanden sich gegenüber dem Haus der Kunst. Der insgesamt hohe Aufwand wurde damals größtenteils von den Einnahmen der künstlerischen Karnevalsfeiern finanziert, die von den Mitgliedern ausgestattet wurden – unter ihnen auch Hess. Diese Feste wurden in den Galerieräumlichkeiten abgehalten, wo auch Kollektivausstellungen der “Juryfreien” und  anderer Künstler stattfanden.

Ich erinnere mich an eine Christian Hess-Ausstellung, die viel Aufsehen erregte, bestehend aus 30 - 40 Arbeiten. Es hieß, Hess hätte die Bilder in nur wenigen Wochen gemalt, was seiner impulsiven Art zu arbeiten absolut entsprach.

Die “Juryfreie” wurde 1933 von den Nazi aufgelöst (sie beendete praktisch ihre Tätigkeit), sicherlich eine Antwort auf den Versuch der “Juryfreien” eine klare Position gegen die Nazi-Politk und dessen Kultur einzunehmen
(und hier Grassmann beziehet  sich der Schlägerei mit Panizza zusammen von den SA erlitten). Danach habe ich Hess aus den Augen verloren”.

Das Schicksal der jungen Künstler “Juryfrei“ war nun deutlich, das Regime hatte beschlossen, jede Spur von Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Meinungsfreiheit zu vernichten.

 
 
 

Sizilien gibt Christian Hess der Deutschen Kunstgeschichte zurück

Die Gedenkmedaille der Wanderausstellung Palermo 1974 – München  1977  dem Kunstverein München vom sizilianischen  Förderungskomitee geschenkt um Christian Hess der Geschichte der deutschen Kunst zurückzugeben. Die Zerimonie findete in München  von Palermo aus am 26 November 1974 und nach der Ausstellungen des 1975 in Rom, Padua, Genua, Triest, Bozen, Mailand  im 1976 in Florenz, Turin, Innsbruck und in 1977 in Passau am Ende der Reise statt, in einer Gesamtlänge von 12 Etappen.
 


GEDENKMEDAILLE
DER WANDERAUSSTELLUNG

Sizilien 1974 – München 1977
In der Gewissheit dass Christian Hess,
durch die Wiederentdeckung seines
Werkes, die richtige Stelle in den
grossen Kulturgut der Stadt München
und der Deutschen Kunstgeschichte
finden kann

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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