Christian Hess - Ausstellung in Palermo

Giovanni Campolmi
 
Nachrichtensendung - 9 Dezember 1974 - 13,30 Uhr


Liliano Frattini aus dem Studio in Rom:
Restitution eines grossen Künstlers an die europäische Kultur: Dies ist Sinn und Zweck der laufenden Retrospektive über den Maler Christian Hess in Palermo. Die Initiatoren - das Institut für Deutsche Kultur und die Region Sizilien – bestehen darauf, dass diese kulturelle Bereicherung von der Insel aus beginnt, wo der südtiroler Künstler lange Zeit gelebt hat und die er wie eine zweite Heimat liebte. Über die Retrospektive des Christian Hess berichtet nun aus Palermo Giovanni Campolmi:
Christian Hess gehört ohne Zweifel zu den weniger bekannten, aber sicherlich zu den interessantesten Persönlichkeiten der Deutschen Kunst der Zwischenkriegszeit. Tragisch verstarb er 49jährig in den letzten Kriegsmonaten - leider viel zu jung, um sich zu Lebzeiten wirklich vollständig entfalten zu können, im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Künstlern, die dieselben Qualen und die unermüdliche Suche der Freiheit mit ihm teilten.


Was uns bei Christian Hess auffällt, ist diese Sehnsucht nach neuen Erfahrungen, sein Leiden unter einem starren System und einer unterdrückenden Gesellschaft, worauf er mit stechender Ironie reagierte. Diese Unruhe und das Streben nach Freiheit trieben ihn zu weiten Reisen von Skandinavien bis nach Sizilien an. Körperlich und geistig vom Ersten Weltkrieg gezeichnet, schloss er sich in München der “Juryfreien” an – eine Gruppe junger Künstler und Bewegung des Expressionismus, an dessen Kollektivausstellungen unter anderem auch Picasso, Max Ernst, Beckmann, Severini und Paul Klee teilnahmen. Es ist aber der Süden, mit seinem mediterranen Licht, der seine Farben wiederbeleben und aufleuchten lässt und dadurch seinen Ausdruck dauerhaft
prägt.
Eines der bekanntesten Wahrzeichen Messinas ist der Neptun - den wir hier erkennen. Hess arbeitete dort sehr intensiv und lernte dabei die mediterrane Lebensweise kennen, die so wunderbar mit seiner Liebe für das einfache Volk harmonierte. Gerade die Landschaft und das Inselleben – wie Marcello Venturoli in seiner Katalogspräsentation schreibt – waren für Hess keine pittoresquen Touristenattraktionen, sondern stellten eine aussergewöhnliche Schule der Menschlichkeit, der Ehre und Armut, Ausdruck der Leidenschaft für die Enterbten, Achtung vor dem Leben dar. Das erklärt
wiederum,
weshalb diese italienisch-europäische Wanderausstellung in Sizilien ihren Anfang nimmt.
Professor Friedrich Schultz des Goethe Instituts ist einer der engagiertesten Förderer des Nachlasses des Christian Hess:
“Ja, das ungewöhnliche Licht des Südens war mit Sicherheit eine ganz entscheidende Erfahrung. Die Farben werden wärmer, ausgeglichener, einfacher. Ohne Zweifel haben wir es hier mit einem grossen Talent der Münchner Schule der 20er Jahre zu tun und hier sehen wir einen Teil, ca. 60 Ölmalereien und Aquarelle aus der Zeit zwischen 1922 und 1938. Und ich glaube, er verschafft uns einen ersten Eindruck der Arbeit dieses unbekannten Künstlers. Mit Freude präsentieren wir diesen Künstler erstmals dem italienischen, sowie auch dem österreichischen und deutschen Publikum.”
Mit der Wiedergewinnung des Christian Hess wird die vor 30 Jahren unterbrochene Suche wiederaufgenommen und die Forschung erfährt neue nützliche Aspekte über eine düstere, aber zugleich auch besondere Zeit der Kunstgeschichte. Seine Unruhe, seine Traurigkeit und sein Pessimismus sind vielleicht bittere Vorboten des grausamen Unglücks des Zweiten Weltkrieges. Einen Krieg, den der Künstler und Pacifist immer verabscheute und dessen Schicksalsschläge ihm letztendlich zum Verhängnis wurden.