Criticism

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Christian Hess:
Sizilien hat Ihn wiederentdeckt 
Eva Kreuzer
 
Tiroler Tageszeitung - 13 Mai 1975
 

Zur Ausstellung des 1944 gestorbenen Tiroler Malers in der Bozner Dominikanergalerie • Synthese aus Kunstströmungen Mitteleuropas

Bozen hat einen verlorenen Sohn zu Gast, den Maler Christian Hess der 1895 hier in der historischen Laubengasse geboren ist  und von dem der Genauigkeit halber gesagt werden muss, dass sein Vater aus Württemberg stammte und seine Mutter Österreicherin war. Erstaunlich ist dass Sizilien den nicht nur in der Heimat fast vergessenen Künstler wiederentdeckt hat. Es waren sizilianische Kunstfreunde, die in den letzten zwei Jahren Ölbilder und Zeichnungen gesammelt haben, die Hess während seiner beiden Sizilienaufenthalte in den Jahren 1925 und 1933 bis 1938 geschaffen hat. So ist es zu dieser Informationsausstellung gekommen, die im letzten Dezember in Palermo das unveröffentlichte Material zum ersten Mal e dem Publikum zugänglich gemacht hat. Auf ihrem Weg von Sizilien  über Bozen nach Turin und weiter in die Schweiz und nach Österreich soll die Ausstellung zur künstlerischen Wiedergeburt des Meisters beitragen. Freilich beleuchtet das Kapitel Sizilien nur einen zeitlich und geographisch begrenzten Abschnitt des Schaffens von Christian Hess. Was der Künstler sonst noch auf seinen vielen Reisen durch Europa und bei seinen verschiedenen Aufenthalten in der Schweiz, in München und in Innsbruck gemalt und geformt hat – Hess war auch als Bildhauer tätig -, ist noch und bleibt vielleicht auch verschollen. Dennoch geben die sizilianischen Arbeiten ein gutes Bild von seinen künstlerischen Ambitionen und vom kulturellen Milieu, aus dem er sich seine Anregungen geholt hat. So spürt man hinter den südländischen Kulissen seiner sizilianischen Landschaft –und Menschenbilder, dass er die verschiedenen Formprobleme durchexerziert hat, mit denen er sich im vielschichtigen Münchner Kunstbetriebe zur Zeit zwischen den beiden Weltkriegen konfrontiert gesehen hat. Die frühen Landschaften aus dem Jahre 1925 sind deutlich von der vehementen Farbigkeit der expressionistischen Optik geprägt. Zehn Jahre später erscheint der Ausdruck einer neuen Wirklichkeitsnähe untergeordnet. Zugleich sind Farbflächen und Konturen zu Bausteinen von  klaren, beinahe dekorativ geordneten Bildflächen geworden. Bei diesem Stil - Wandel hat zweifellos die Begegnung des Malers mit dem Maß und Gesetz der klassischen Kunst mit der  “Pittura Metafisica“ eines De Chirico und nicht zuletzt seine Begegnung mit den konstruktiven Gestaltungsprinzipien des Kubismus eine große Rolle gespielt. Nicht zu übersehen in diesem sizilianischen Bildvokabular der dreißiger Jahre ist auch die Bekanntschaft des Künstlers mit Max Beckmann, dem großen Realisten der Zwischenkriegsjahre.

Doch anders als Beckmann scheint der Maler Hess kein engagierter Revolutionär und kein lautstarker Avantgardist gewesen zu sein. Die kulturellen Spannungen und Kontrasteseiner Zeit haben zumindest in  den vorliegenden sizilianischen Arbeiten keinen Niederschlag gefunden. Und das obwohl Hess selbst Mitglied einer der vielen avantgardistischen Künstlervereinigung Münchens gewesen ist, obwohl er als Untergrundmaler mit dem Kulturrevolution des Dritten Reiches in Konflikt geraten ist und sich in den Kriegsjahren mehr schlecht als recht durchschlagen musste.1944 ist er in Innsbruck an den Folgen eines Bombenangriffs gestorben.
Aus dem einseitigen Blickwinkel des Kapitels Sizilien betrachtet, gibt Christian Hess den Eindruck eines kultivierten  Malers, der es verstanden hat, eine Synthese aus den verschiedenen mitteleuropäischen  Kunstströmungen seiner Zeit zu ziehen. Deshalb wird der Künstler heute von den Organisatoren dieser Ausstellung dem Publikum als „Europäer“ vorgestellt, und deshalb haben wohl auch das Goethe Institut und da Europaparlament die Schutzherrschaft über diese Ausstellung übernommen.

Eva Kreuzer