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Die Schwester Emma

Die Freundin Marya

Das Exil

Selbstportraits

Der Künstler und sein Unterbewusstsein

von Domenico Maria Ardizzone

Selbstbildnis mit Pinseln
Öl auf Leinwand, cm 86 x 64 (München, 1920)
 

Selbstbildnis (1921)
Bleistift, cm 25 x 13

Selbstbildnis – Öl auf Leinwand, 80 x 64 (München, 1924)

Bis heute sind nur ein Dutzend Selbstportaits des Künstlers bekannt, die in einem Zeitraum von 16 Jahren entstanden sind. Die erhaltenen und hier abgebildeten Werke reichen von 1920 – der Künstler eröffnete sein erstes Atelier in der Theresienstraße in München – bis 1937, als er sein Exil in Sizilien verließ und in die Schweiz zog. Schon während seiner ersten Studienjahre beginnt er, sich selbst ernsthaft zu hinterfragen. Wir sehen ihn in dunkler Kleidung dargestellt, zugeknöpft und mit Krawatte, das Gesicht hohlwangig und verkniffen, die müde wirkenden Händen halten Pinsel und hängen nach vorne. Das Selbstbildnis von 1921 ist eine Bleistiftzeichnung und stellt ihn friedlich dar, wenn auch etwas nachdenklich, mit einem klaren Blick in die Zukunft. Im Ölbild von München, 1924 sehen wir ihn ohne Jackett abgebildet, im Gilet, mit seriösem Gesichtsausdruck. In der Zeichnung von Wien, 1925, in Hemd und Krawatte, wirkt sein Blick entspannter.

 

Selbstbildnis (Wien, 1925)
Bleistift auf Papier,
cm 22 x 17
 

Selbstbildnis mit Werken
im Hintergrund - (München, 1927)

Hess legt immer mehr Ballast ab und erlangt Selbstvertrauen. Im Selbstbildnis von 1927 sehen wir ihn nicht mehr in seinen alten Kleidern, sondern stellt sich in einer Marinejacke und Baskenmütze dar. Im Hintergrund erkennt man einige seiner Werke. Von dieser Arbeit existiert leider nur eine verschwommene schwarz/weiß Fotographie. Es zeigt uns die Selbstöffnung des Künstlers. In dieser Zeit schreibt er an seine Schwester, wie gerne er sich mit verschiedenen Hüten und Schärpen kleidet. Er amüsiert sich über die Reaktionen der Leute, die ihn mit einem Ausländer verwechseln. Hess stellt sich von nun an nicht mehr förmlich gekleidet dar, heute würden wir das als „lässig“ bezeichnen. Er zeigt sich sogar in der Badehose. Die Jahre vergehen, man erkennt deutlich seinen Reifungsprozess, es kommen jedoch auch Existenzängste hinzu.

 

Selbstbildnis als 33jähriger
Kohlezeichnung auf Papier
Cm 70 x 50 (Messina, 1928)
 

Das Selbstbildnis “des Winterschlafs”

Selbstbildnis – Öl auf Leinwand,
cm 95 x 77 (München, 1929) - Ein Abriss der Rückseite des Bildes „Die Agave“

Hess ließ sich während seines Exils an der jonischen Küste Messinas in der nächsten Nähe seiner Schwester nieder und lebte sich rasch ein. Er vergaß das “Renaissance”-Selbstbildnis. 1934 malte er eine Ansicht des “Stretto” von Messina mit einer Agave im Vordergrund auf die Rückseite des Selbstportraits. In den 70er Jahren, während der Vorbereitungen der Wanderausstellung der “Rückkehr”, wurde dieses Werk reatauriert. Durch eine spezifische Technik (“Abriss”) konnten beide Malereien gerettet werden. Somit konnte nach einem 45jährigen “Dornröschenschlaf” dieses besondere Selbstportrait die “Rückkehr” der Arbeiten des Christian Hess vervollständigen.


Die Agave – Öl auf Leinwand,
cm 77 x 95 - (Messina, 1934)

Das Selbstbildnis vom 24. Dezember 1928, eine Kohlezeichnung, ist an seinem Geburtstag in Messina entstanden und stellt zugleich auch einen Wendepunkt dar. Dasselbe Thema greift der Künstler ein Jahr später in München auf und malt eine sog. „Renaissance“ – Version. Man achte nur auf den besonderen, spitzenartigen Kragen. Der introspektive Blick ist identisch, aber die Bedeutung ist eine andere. Hess befindet sich in seiner besten künstlerischen Phase, in der er aktiv an der „Juryfreien“ und deren Ausstellungen teilnimmt. Die prestigereiche münchner Kulturzeitschrift „Jugend“ bildet innerhalb eines Jahres zwei Werke des Künstlers auf der Titelseite ab. Das „Renaissance“- Portrait von 1929 gerät leider schnell in Vergessenheit. Die jungen münchner Maler fühlen sich durch die herrschende Politik mehr und mehr in ihrer Arbeit eingeschränkt. Es folgen der Brand des Glaspalastes im Jahre 1931, wo Ausstellungen der „Juryfreien“ stattfanden, und schließlich die Auflösung der Künstlergruppe.
 

Eine Karikatur der Grippe

Hier zeichnet sich Hess selbst, als er an einer Grippe erkrankt. Mit Ironie stellt er die Krankheit als lauernden Tod dar und verspottet in einem selbstgeschriebenen Gedicht seine sorgvollen Freunde, die ihn aus Ansteckungsangst nicht besuchen und lobt den Wein als beste Medizin gegen Grippe.


Selbstbildnis „mit Grippe“
Tusche auf Briefpapier
cm 28,5 x 18
(München, 28. Januar 1931)

 

 

 “Der Wahrsager” Selbstbildnis seine Exil

Die Studien zu den Gedanken und den Werken von Christian Hess, die sich vor kurzem durch junge Forscher - außerhalb der akademischen Kreise - entwickelten, führten zu überraschenden “Enthüllungen” von Konzepten einiger Gemälde zu denen die offizielle Kritik es noch nicht geschafft hatte , eine Entschlüsselung zu finden. Die wichtigste Enthüllung ist ohne Zweifel die, die im März 2009 von der, aus Apulien stammenden Forscherin und Essayistin, Cristina Martinelli, nach einem Besuch der Kunstausstellung im Stadtmuseum in Bozen, gemacht worden ist. Nach dieser Ausstellung hat sie ihre Studien, auf der Internetseite der Kulturvereinigung Christian Hess vertieft. Unter den Dokumenten die sie im Archiv gefunden hatte, fand sie auch die, die sie in ihren Vermutungen bestärkten und die sie darauf schließen ließen, dass es sich bei  dem Gemälde “Der Wahrsager” (von 1933) um ein “biografisches Selbstbildnis” von Hess handelt. Auf diesem Werk, steht die zentrale Figur, die dem Maler sehr ähnlich ist, mit dem Rücken zum Meer und drückt seine ganze Melancholie seines Exils in Sizilien, die durch die Umarmung einfacher Personen des Ortes, die ihn umkreisen, erleichtert wird, aus; während er in der Figur eines Wahrsagers, sich über die Zukunft befragt. Eine andere emblematische Besonderheit ist die Tatsache, dass "der Wahrsager" das weiße Hemd mit roten Strichen der Künstler der Juryfreie trägt. Was auf die Isolierung der Mitglieder dieser Gruppe hinweist, die von den Nazis verbannt worden sind, nachdem ihre Werke auf einem Scheiterhaufen vor dem Glaspalast in München verbrannt wurden.
 

Identifizierung mit dem sizilianischen Volk

Autoritratto sulla barca - olio su tela cm 76 x 62 - (Messina 1933)


 

Autoritratto con pesce palombo fra le mani.
Acquerello su carta - cm 41 x 58 (Messina 1933)

Einer der glücklichsten Momente des Künstlers auf Sizilien: er erfreut sich sichtlich an der Meeresluft, am guten Wein und an den üppigen Gaben der Natur. Überzeugend ist sein wohlwollender Ausdruck auf dem Selbstbildnis, wo er einen kleinen Haifisch in den Händen hält, der im „Stretto“ stark verbreitet ist. Der Raum mit dem gedeckten Tisch lässt im Hintergrund den qualmenden Ätna erkennen. Viele Spezialitäten sind vorhanden: eine Weinflasche mit Cerasuolo, ein Ölkrug, eine Flasche Inzolia (antike sizil. Weinsorte), Früchte und Zitronen in der Obstschüssel – ein Leitmotiv, das wir oftmals in seinen Bildern wiederfinden, auch in abstrakter Form.
 

Selbstbildnis 
der Nostalgie 

Hecke auf Papier (Messina 1935)

Im Selbstportrait auf dem Boot (Messina 1933) sehen wir ihn am Ruder und im Hintergrund eine weitere Figur. Sein Gesichtsausdruck ist stark. Sichtlich identifiziert er sich mit den Einheimischen, die ihn mit ihrer typischen Wärme und Gastfreundschaft ins Inselleben aufnehmen. Dazu schreibt der Kunstkritiker Marcello Venturoli im Katalog zur Ausstellung der „Rückkehr“ (Palermo 1974) folgendes:
 

„Es ist Identifizierung mit dem sizilianischen Volk, die Hess verspürt und ihm über seine Einsamkeit hinweg hilft. Er begann zu rudern, im Boot und im Kunstwerk, mit einer roten Baskenmütze. Lebenslust scheint seinen Neffen entgegenzusprühen, der kolossale Griff zum Ruder scheint die Geschichte Scillas und Cariddis zu wiederholen. Er, der aus dem Norden kommt, scheint nichts anderes zu kennen, als die Hitze der Sonne. Die Arbeit und das Vertrauen auf das Leben kennen keine Grenzen. Ich beziehe mich auf das Bild „Selbstbildnis auf dem Boot“ (1933).

Zigaretten und Wein um das Leid zu besiegen


Selbstbildnis mit Zigaretten
und Wein - I Aquarell auf Papier
(Messina, 1936)

Selbstbildnis mit Zigaretten
und Wein II - Aquarell auf Papier,
(Messina 1936)





Diese beiden Portraits zeigen deutlich das Unbehagen des Künstlers.
Er raucht und trinkt bis zur völligen Benommenheit seit der Abreise seiner Ehefrau Cecile, die sich nicht an das Inselleben gewöhnen konnte und es vorzog, nach Zürich zurückzukehren. Nichts hat die Ehe gebracht, nichts der Umzug nach Sizilien. Der Maler verrät uns hier seine tiefste Enttäuschung und das Bedürfnis, sich selbst zu vergessen.

 

Einen Kuss
von Marya träumend

Selbstbildnis des Kusses - Tusche auf Papier
cm. 49 x 60  (Messina 1938)

Hier illustriert Hess einen unterbewussten Traum. Er träumt von seiner unvergesslichen Herzensfreundin Marya, die ihn umarmt und küsst und ihm die Hochzeit mit Cecile verzeiht, die sich in einer Scheidung auflöste.

Autoritratto con carte da gioco
tra le mani - cm. 64 x 50
(Messina 1937) Sul retro:
Ritratto di Bernhard Neitzel,
lapis (Monaco 1933)

 

Einige Zeit später befindet er sich inmitten seiner tiefen, persönlichen Krise und versucht einen Selbstmord. Doch Emma gibt ihm Halt, er fasst wieder Mut und reist in die Schweiz.
Er bricht auf, ganz ohne Gepäck, nur einen Beutel nimmt er mit. Er überlässt seiner Schwester seine Bilder und sämtliches Mobiliar.

Vor seinem Tod während eines Bombenangriffs in Innsbruck, erlebt Hess acht harte Jahre in Armut und Verzicht, in Erschöpfung wegen seiner ständigen Reisen zwischen Bayern und der Schweiz, und weiter nach Tirol. Wegen Krankheit muss er immer wieder ins Sanatorium. Die Militärpolizei verpflichtet ihn zum Postdienst in München.

 

Selbstporträts seines peinlichen Untergang

Hess aus Innsbruck an M. Neitzel in München (Herbst ‘44)

Hess aus Innsbruck an M. Neitzel in München (22 Okt. ’44)